Chronik der Eichendorff – Schule
Den Wandel einer Gesellschaft hinsichtlich ihrer Wertvorstellungen, ihrer Einstellung zur Jugend und der daraus sich ergebenden Pädagogik sowie den Anforderungen an die Jugend, die weitgehend auch durch die Arbeitswelt diktiert werden, kann man sehr gut an der 100jährigen Geschichte der Eichendorff-Realschule in Köln-Ehrenfeld untersuchen.
Von der Erziehung zu preußischer Zucht und Ordnung zu demokratischer Gesinnung, vom Hauptfach Religion zu differenzierten Angeboten in Sprachen, Sozialwissenschaften und Naturwissenschaften und Religion als Nebenfach, von dem Schwerpunkt Französisch und lediglich privaten Unterrichtsstunden im Fach Englisch zum Hauptfach Englisch als Weltsprache und zum bilingualen (englischen) Zweig, von homogener, fast ausschließlich katholischer, zur multikulturellen Schülerschaft, von einer reinen Jungenschule zur Edukation soll in dieser kurzen Chronik die Rede sein. Und doch, manches ist gleich geblieben, und manches, was heute als moderne pädagogische Konzeption angepriesen wird, wurde an der Schule schon vor fünfzig Jahren praktiziert.
Planung einer neuen Jungenschule
Im August 1898 fiel im Rat der Stadt Köln die Entscheidung, im immer volkreicher werdenden Stadtteil Ehrenfeld eine Mittelschule für Jungen zu errichten mit dem Ziel: „Ihren Schülern eine höhere Bildung zu geben als dies in der Volksschule geschieht und die Bedürfnisse des gewerblichen und technischen Lebens in größerem Umfang als dies in höheren Lehranstalten (Gymnasien) der Fall sein kann zu berücksichtigen“.
Diese neue Schule sollte im Gebäude der Volksschule Gravenreuthstraße (heute Geschwister Scholl-Realschule) eingerichtet werden. Ab Ostern (damals Beginn eines neuen Schuljahres) sollten Schüler nach der 6. Klasse der Volksschule in die 3. Klasse der Mittelschule aufgenommen werden und solche Schüler, die eine Aufnahmeprüfung für eine höhere Lehranstalt erfolgreich bestanden hatten. Der Leiter der Gravenreuther Volksschule, Herr Rudolf Rademacher, sollte auch Leiter der neuen Mittelschule werden.
Lehrer Peter Schmitz aus Köln-Bickendorf begann Ostern 1899 mit 23 Schülern, ein Schuljahr später wurde eine zweite Klasse mit 39 Schülern unter der Leitung von Herrn Mathias Waver und Ostern 1891 eine dritte Klasse mit dem Lehrer Karl Caspar errichtet. Herr Caspar wurde der erste Direktor der späteren selbständigen Mittelschule.
Zucht und Ordnung
Der Schwerpunkt der neuen Mittelschule ergibt sich aus dem Lehrplan: 15 Stunden waren allein für Mathematik vorgesehen, 15 Stunden für Französisch, 14 Stunden für Deutsch und 6 Stunden für Religion, verteilt auf die ersten drei Jahre. Diese Fächer waren Hauptfächer. Englisch wurde lediglich in einem Privat-Lehrerkurs angeboten. Die Absicht war, “ Kenntnisse für die gehobenen Berufe im Handel, “ der Wirtschaft und Industrie zu vermitteln, um somit den Anforderungen der Arbeitswelt gerecht zu werden. Dank der übergroßen Hingabe der Mittelschullehrer wurde so manches schöne Resultat erzielt. Es war eine Anstalt mit bester Zucht und Ordnung.“
Im Rahmen einer Mittelschulreform wurde 1912 die dreiklassige Mittelschule zu einer sechsklassigen erweitert und nach Abschluss der letzten Klasse (Klasse 1 genannt) wurde das „Einjährige“ erteilt. Diese Mittelschule war im Jahre 1917 voll funktionsfähig und erfuhr eine Erweiterung durch eine Mädchenmittelschule. Beide Zweige hatten bis 1945 etwa 600 Schüler und Schülerinnen in 12 bis 14 Klassen.
Erst im Jahre 1948 wurden diese Zweige der Volksschule in je eine selbstständige Realschule für Jungen und eine Realschule für Mädchen umgewandelt.
Geistige Inhalte der Schule und Niveau
Interessanter als diese Zahlen ist jedoch die Frage, welcher Geist an dieser Schule herrschte und wie dieser sich entwickelte, ist die Frage, ob es Brüche gab in der pädagogischen Zielsetzung. Leider haben die Bomben des Zweiten Weltkrieges wertvolles Archivmaterial vernichtet, glücklicherweise ist jedoch eine von Schülern in den ersten vier Jahren der 30-Jahre geführte Chronik der Schule erhalten geblieben. Diese ist außerordentlich aufschlussreich.
Das Leistungsniveau der Schule muss hoch gewesen sein, die Identifikation der Schüler mit ihrer Schule groß. Zum 100. Todestag von Goethe wurde im März 1932 auf einem Volksbildungsabend das Volksspiel von Doktor Faust aufgeführt, für die Generalprobe mussten Eintrittskarten verlost werden, so groß war die Anteilnahme der Schüler. Der Deutschunterricht bildete einen Schwerpunkt dank engagierter Lehrer, viele Theaterstücke wurden aufgeführt, Puppenspiele mit im fächerübergreifenden Unterricht selbst gebastelten Puppen einstudiert und öffentlich vorgeführt, Lektüre von damals noch lebenden, heute fast vergessenen Schriftstellern gelesen, mit denen man auch zu korrespondieren versuchte. Die Begeisterung für das Theater ging soweit, dass man nach Bergisch-Gladbach zu einer Freilichtbühne fuhr und mit der Aufführung von Schillers Tell auf der Freilichtbühne glänzte Man wagte sich sogar daran, ein Liebesgedicht im Musikunterricht zu vertonen . Es existierte eine Arbeitsgemeinschaft, die leidenschaftlich der Diskussion sich widmete und bei Unklarheiten auch Kapazitäten, (z.B. einen Professor der Universität Dresden) anschrieb, um Klarheit über bestimmte Fragen zu gewinnen, z.B. über die Definition von Volksmusik und Schlager.
Die Begeisterung für die deutsche Literatur hatte jedoch in der ersten Zeit noch nichts Nationalistisches an sich, allerdings zeigte sich schon ein starkes nationales Pathos ab, wenn die Schüler über deutsche Märchen und über die oben erwähnte Aufführung des Tell berichten.
Trotz der damals schon in der Politik propagierten angeblichen Erbfeindschaft zwischen Deutschen und Franzosen verbrachte ein Schüler namens Buschhorn beispielsweise im Jahre 1932 als erster Ehrenfelder Schüler, im Rahmen eines Schüleraustauschs seine Ferien in La Rochelle in Frankreich und kehrte mit dem Sohn seiner Gastgeber zurück. Über seine Reise nach Frankreich und einen dreitägigen Aufenthalt in Paris berichtete er vor den höheren Klassen in – man höre und staune – französischer Sprache, der Text liegt uns heute noch vor. Ausdrücklich erwähnt die Chronik, dass der damalige Französischlehrer diesen Austausch angeregt hatte und dass er auf das Ergebnis stolz sein könne.
Diese Tradition wurde vor einigen Jahren durch die Aufnahme einer Partnerschaft mit Charmes in Frankreich fortgesetzt und letztes Jahr konnte die Eichendorff-Realschule, das fünfzehnjährige Jubiläum dieses neuen Austausches feiern.
Wandel des Selbstverständnisses
Bezüglich ihrer Wertvorstellung scheint die Ehrenfelder Mittelschule stark religiös geprägt gewesen zu sein. Man bat ausdrücklich um den Schutz der Jungfrau Maria und beim Begräbnis eines Schülers ging die gesamte Klasse zum Gottesdienst und empfing die Kommunion.
Allerdings verhinderte all dies nicht, dass auch diese Schule ab 1932 in nationalsozialistisches Fahrwasser geriet.
Germanisches war nun angesagt, Germanensiedlungen, Wikingerschiffe wurden gebastelt (im März 1933), in einem Dankschreiben an Bauern aus Rhede für die Lieferung von Kartoffeln heißt es, dass diese sich den Leitsatz des neuen Reiches „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ zu eigen gemacht hätten und ehrfurchtsvoll lauschten die Schüler dem neuen Reichskanzler bei einer Nationalfeier am 21. März 1933, man fuhr nach Düsseldorf zu einem Jugendtreffen mit 15.000 Schülern und sang in Anwesenheit des Reichsjugendführers Baldur von Schirach das Horst-Wessel-Lied (Lied der NSDAP Hitlers). Mit Stolz berichtet ein Schüler im Dezember 1933, dass die Klasse sich aus der Klassenkasse ein Werk deutscher Kunst gekauft habe, ein Porträt Adolf Hitlers.
Und man führte nun auch ein Theaterstück von Till Eulenspiegel mit dem Juden Moses und dessen Sohn Itzig auf, „der an Unsauberkeit seinen Vater noch weit übertrifft.“
Eine neue Identität in neuen Räumen
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte das Gesicht der alten Ehrenfelder Realschule sowohl räumlich als auch geistig. Ab dem Schuljahr 1948/49 wurden wie oben erwähnt aus den beiden Mittelschulzweigen der Gravenreuther Volksschule zwei selbständige Schulen. 18 Klassen zählte damals die Jungenschule, 14 Klassen die Mädchenschule mit etwa 1200 Jugendlichen. Das Gebäude an der Gravenreuthstraße erwies sich als zu klein, ein Neubau für beide Schulen wurde beschlossen, und am 22.Oktober 1953 billigte der Rat der Stadt Köln den Entwurf des Architekten Ernst Meller und beschloss gleichzeitig, den ersten Bauabschnitt für die Jungenschule im Jahre 1954 zu beginnen. Am 30. Juli 1954 wurde für diesen Bauabschnitt der Grundstein gelegt. Beide Schulen sollten jedoch streng getrennt bleiben, aus dem später hinzugebauten Mädchentrakt konnte man wegen Milchglasfenstern nicht auf den Schulhof der Jungen sehen, und noch 1971 trennte ein weißer Strich auf dem Schulhof den Bereich der Jungen von dem der Mädchen.
Auch geistig vollzog sich im Laufe der folgenden Jahre eine Neuorientierung. Aus einer „Anstalt mit bester Zucht und Ordnung“ entwickelte sich eine Schule, in der nicht mehr Zucht und Ordnung eine Priorität besaßen, sondern die Integration von Jugendlichen ohne Zucht und Ordnung, von sogenannten Problemkindern. Dieses neue Konzept wurde auch von den politischen Stellen ausdrücklich als förderungswürdig anerkannt durch zusätzliche finanzielle Mittel und durch die Schaffung von mehr Planstellen. Emanzipation und das Einüben demokratischer Verhaltensweisen prägten nun den Geist der Schule. Leistungen wurden durchaus weiter den Schülern abverlangt, aber Leistungsdenken auf Kosten anderer war verpönt. Einen weiteren Schwerpunkt der Schule bildete nämlich die Arbeit mit Legasthenikern (Lese- und Rechtschreibschwachen), die an den übrigen Schulen trotz ihrer oft nachweislich überdurchschnittlichen Intelligenz keine gerechte Bewertung ihrer Leistungen erfuhren. Für diese Schüler wurden Kleinklassen eingerichtet, und sie wurden durch zusätzlichen Unterricht durch die Lehrer, aber auch durch ihre Eltern, die von einem zuständigen Experten eigens geschult wurden, gefördert. Der Ruf dieser Schule verbreitete sich schnell, und der Einzugsbereich war sehr groß, das heißt teilweise schickten die Eltern ihre Kinder von weither.
Beruflich erfolgreiche ehemalige Schüler dieser Kleinklassen berichteten bei ihren späteren Besuchen immer wieder, dass sie ohne die Angebote der Eichendorff-Realschule beruflich nicht so weit gekommen wären, ja sogar vielleicht nach ihren Einschätzungen gescheitert wären.
Mit Stolz berichtete daher bei der Jubiläumsfeier zum 75. Bestehen der Schule im Jahre 1974 die damalige Schulleitung, Herr Helmut Eckmanns und sein Stellvertreter Udo Pfleghar, dass im Jubiläumsjahr von 650 Schülern nur fünf wahrscheinlich nicht versetzt würden, drei jedoch wohl eine Nachprüfung ablegen könnten.
Ein modernes Profil
Mit der Übernahme der Schulleitung durch den damaligen Direktor, Herrn Wolfgang Biederstädt, veränderte sich die Schule erneut. Der Versuch eines bilingualen (englischen) Zweiges wurde 1992 gestartet und es war die Absicht des neuen Schulleiters und der einhellige Wunsch des damaligen Kollegiums, die Integration von verhaltensauffälligen Schülern und die Förderung von Legasthenikern als ein besonderes pädagogisches Konzept der Schule beizubehalten, die zuständigen Politiker kürzten jedoch die Mittel für diesen zusätzlichen Aufwand und die entsprechenden Planstellen. Die Stadt Köln übernimmt darüber hinaus nicht mehr die Kosten für die KVB bei Schülern, die nicht im Einzugsbereich der Schule wohnen.
Schule als gesellschaftliches Spiegelbild
Die Schule muss mit diesen von der Politik gesetzten Rahmenbedingungen leben und versuchen, trotzdem für Eltern und Schüler attraktiv zu sein. Mit dem aus dem Versuchsstadium herausgetretenen Bilingualen-Zweig und ihren Angeboten in Informatik sowie dem Anschluss an das Internet bemüht sie sich, den Jugendlichen ein für die moderne Arbeitswelt angemessenes Angebot zu unterbreiten.
Das breite Angebot an Ergänzungsstunden und Arbeitsgemeinschaften soll das Schulleben zusätzlich bereichern.
Die Eichendorff Realschule hat bereits vor 4 Jahren mit Inklusion begonnen und auch unlängst Vorbereitungsklassen etabliert, die nicht-deutschsprachigen SchülerInnen die Möglichkeit einer schnellen Integration verschaffen soll.
Seit dem Schuljahr 2014/15 steht die Eichendorff Realschule unter der Leitung von Herrn Thomas Zaczek (Schulleiter) und Frau Regina Nick (Konrektorin), die bereits das nächste Meilenstein-Projekt zum Thema “Sprachsensibler Unterricht” tatkräftig unterstützen.
Wie diese Chronik zeigt, ist eine Schule ein Spiegelbild der Gesellschaft, denn sie muss auf Veränderungen reagieren. Unser aller Ziel ist es, die SchülerInnen auf das Leben und ihre Herausforderungen vorzubereiten und sie dabei zu unterstützen ihren eigenen Weg zu gehen.